Wörner – 5. September 2020

Wörner - der Anstieg führt über die rechte Flanke
Wörner – der Anstieg führt über die rechte Flanke

„Selten kann eine Hütte solch ein Prachtstück als Hausberg aufweisen“, so stand es einst im Hüttnblattl zur Hochlandhütte vom Geo-Buch Verlag von 1972. Die „Kassette“ mit 16 vierseitigen Hüttnblattl zieh ich weiterhin gern aus meinem Reservoir von Wander- und Bergsteigerbüchern hervor. Damals Ende der 70er und in den 80er als ich meine Bergsteigerhochzeit hatte, fand der Wörner einen Platz in der Liste meiner Lieblingsberge. Einst als Passwörter keine Mindeststandards zu erfüllen hatten und man sich die paar wenigen im Kopf behielt, gehörte „Woerner“ dazu, zur Sicherheit mit „oe“ geschrieben. Ich bevorzugte dafür die Namen meiner Lieblingsberge – einige davon finden sich hier in der Liste meiner beschrieben Bergerlebnisse wieder – und nicht, wie damals bereits so abgedroschen, die Vornamen von Freundinnen.

Blick Richtung Südosten zur Vogelkarspitze und östlichen Karwendelspitze
Blick Richtung Südosten zur Vogelkarspitze und östlichen Karwendelspitze

Als ich mir 1988 mein erstes Mountainbike von Scott zulegte, stieg ich nicht mehr über die Hochlandhütte zum Wörnersattel auf. Von da an startete ich am Isarhorn zwischen Krün und Mittenwald auf 890 M.ü.N. Bis kurz vor der Ferein Alm und der Krinner-Kofler Hüttn führt eine sehr gut ausgebaute allerdings nicht wenig steile Forststraße zum Sattel zwischen Soierngruppe und nördlichen Karwendelkette. Ein wiederholtes Mal frag ich mich, warum ich mir die Quälerei mit dem Radl antu‘. Am Nachmittag, wenn ich zum Sattel zurückkomm, werd ich mit Sicherheit eine Antwort habn! Beim Hochradln bleibt mir ausreichend Zeit zum Sinnieren, wann ich wohl das letzte Mal auf’m Wörner war. Es muss im Sommer vor 22 Jahren gewesen sein, auch damals war ich allein unterwegs.

Almabtrieb von der Brandelalm
Almabtrieb von der Brandelalm
Jungvieh
Jungvieh

Kurz vor’m Sattel kommen mir 180 Rindviecher beim Almabtrieb von der Brandelalm entgegen. Als mir die Viecher über die gesamte Breite der Forststraße im Pulk entgegen galoppieren, weich ich zur Vorsichtig auf den Straßenrand aus. Die Trägheit einer ausgewachsenen Kuh darf nicht unterschätzt werden. Am Sattel (1460 Hm) sucht ich mir im lichten Wald an Abstellplatz für mei Radl.

Kurz vorm Sattel zwischen Soierngruppe und nördlichen Karwendelkette
Kurz vorm Sattel zwischen Soierngruppe und nördlichen Karwendelkette
Blick Richtung Osten - die Rappenklammspitze ist links als klein Nase zu erkennen
Blick Richtung Osten – die Rappenklammspitze ist links als klein Nase zu erkennen
Meine Antwort in wunderschönem Blau
Meine Antwort in wunderschönem Blau
Wörnergrat
Wörnergrat

Von da an führt der Wanderpfad flach durch einen verzaubernden lichten Bergwald, nach den anstrengenden 600 Hm auf’m Radl ein Genuss für’s Kreuz und die Pumpe. Nach Querung des zu dieser Jahreszeit trockenen, vom Wörnerkar hinab ziehenden Bachbett vom Seinsbach zieht der Pfad kurzzeitig steiler zur Wörnerlähne hinauf. Von da an geht’s kontinuierlich hinauf. Die letztem 200 Hm vor’m Wörnersattel sind steil und werden auf dem Schotterpfad äußerst unangenehm. Da tut eine Trinkpause am Wörnersattel gut. Nun freu ich mich auf den über Felsgelände führenden alpinen Anstieg zum Wörnergipfel über knapp 500 Hm.

Wörnersattel
Wörnersattel
Normalweg zum Wörner
Normalweg zum Wörner

Der Normalweg zum Wörner ist im alpinen Schwierigkeitsgrad I-II ausgewiesen. Nach der ersten Felsstufe führt der Pfad anfänglich über weniger geneigtes Schrofengelände zum Wörnergrat hinauf.

Erste Felsstufe ist überwunden
Erste Felsstufe ist überwunden
Schrofengelände hinauf zum Grat
Schrofengelände hinauf zum Wörnergrat
Griffiges Felsgelände unterhalb vom Grat
Griffiges Felsgelände unterhalb vom Grat
Blick zurück zum Wörnersattel und Steinkarkopf (Wörnerkopf)
Blick zurück zum Wörnersattel und Steinkarkopf (Wörnerkopf)

In Nähe des Grats geht’s weiter aufwärts, bis der Pfad auf deutlich ausgetretene Spuren nach rechts zuerst über einen Sporn und dann über mehrere Rinnen leitet.

Im Hintergrund Zugspitze und Alpspitze
Im Hintergrund Zugspitze und Alpspitze
Griffiges Felsgelände
Über griffigen Fels …
... hinauf
… hinauf

Bei einer auffälligen Rinne weist die Markierung den Fels hinauf und man folgt weiter den roten Markierungen. Bald weist eine gut ersichtliche Felsenrinne den Steig Richtung Südwestgrat rauf. Unterhalb vom Grat quert man nach links heraus und steigt durch eine auffällige Rinne bis kurz unter den Gipfel hinauf.

Letzte Rinne zum Gipfel hinauf
Letzte Rinne zum Gipfel hinauf

Nach den nicht wenig anstrengenden 1.600 Hm genießt ich die letzten wenigen Meter am Grat zum kreuzgeschmückten Gipfel auf 2.476 M.ü.N. Mit einem Gefühl von Stolz genieß ich die prachtvolle Rundumsicht, heut sicher weit über 100 Km hinaus. Lediglich der Norden ist mit einer dünnen Wolkenschicht überzogen. Ich erinnern mich, weshalb der Wörner seit meiner Jugend zu meinen Lieblingsbergen gehört.

Gipfelkreuz mit Blick auf westliches Ende der nördlichen Karwendelkette
Gipfelkreuz mit Blick auf westliches Ende der nördlichen Karwendelkette
Blick nach Südwesten - links vom Zugsspitzplateau das Mieminger Gebirge und weiter die Hohe Munde
Blick nach Südwesten – links vom Zugsspitzplateau das Mieminger Gebirge und weiter die Hohe Munde
Blick nach Süden - im Hintergrund die Ötztaler und im Vordergrund mittig links die Pleisenspitz
Blick nach Süden – im Hintergrund die Ötztaler und im Vordergrund mittig links die Pleisenspitz
Blick Richtung Südosten - links Birkkar-, Kaltwasserkar- und Ödkarspitzen
Blick Richtung Südosten – links Birkkar-, Kaltwasserkar- und Ödkarspitzen
Blick Richtung Westen - links Vogelkarspitze und östlichen Karwendelspitze, mittig wiederum Birkkar-, Kaltwasserkar- und Ödkarspitzen
Blick Richtung Osten – links Vogelkarspitze und östlichen Karwendelspitze, mittig wiederum Birkkar-, Kaltwasserkar- und Ödkarspitzen

Nach einer guten Stunde Pause mach ich mich auf den Rückweg. Ich spür bereits hier oben jeden Schritt abwärts in den Knien. Zudem empfiehlt es sich, laufend auf die Markierungen zu achten. Das felsige Gelände erfordert im Abstieg deutlich mehr Konzentration als im Aufstieg, bei dem man jeden Handgriff unmittelbar vor Augen hat.

Im felsigen Gelände lässt der Steig zum Wörner nicht mehr ausmachen
Im felsigen Gelände lässt sich der Steig zum Wörner kaum ausmachen
Schrofengelände hinab
Schrofengelände hinab
Zwei jungen Bergsteiger sind im Gelände kaum zu erkennen
Zwei jungen Bergsteiger im Gelände schwer zu erkennen

Also zollen die 1.600 Hm doch ihren Tribut. Bloß nicht dran denken, wie viel Hm Abstieg noch vor mir liegen. Nun gilt es jedes kleine Etappenziel als Erfolg zu werten! Am Wörnersattel gönn ich mir eine Trinkpause bevor ich mich auf den Weg hinunter über den anfänglich steilen Schotterpfad mach. Zum Glück lässt sich der Abhang abseits vom Pfad über eine schmale Schotterspur ca. 100 Hm abfahren. Von da an muss ich mich wieder mit dem Pfad begnügen. Noch gut 500 Hm Abstieg – oh, was tun die Beine weh! Das wird morgen einen Muskelkater geben! Na ja, irgendwie konnt ich mein Radl doch erreichen. In wunderschönem Blau strahlt mich die Antwort auf meine Frage von heut Morgen an. Bevor ich mich auf die Abfahrt mach, gibt’s den verbliebenen Rest an Flüssigkeit. Während der kurzen Zeit am Sattel fällt eins ins Aug, ohne elektrische Unterstützung fährt hier niemand mehr. Schade auch!

Blick zurück mit aufziehenden Wolken
Blick zurück mit aufziehenden Wolken

Dr. Harald Klein