Hin und wieder unterlaufen mir Fehler, von denen ich vermute hätte, sie könnten mir nach meiner inzwischen langjähriger Bergsteigererfahrung nicht mehr passieren. Doch weit gefehlt, der 18. August war so ein Tag. Stichwort Dehydratation!
Dazu gilt es ein wenig auszuholen. Seit 1980 hab‘ ich meine eigene persönliche Regel zum Sommerende und damit Herbstanfang. Auch wenn Claudia, meine Lebenspartnerin und heutige Begleiterin, diese Regel als überflüssig und ausgesprochen destruktiv bewertet, sie bestätigt sich Jahr für Jahr auf den Tag genau:
„Letzter Sommertag ist der 18. August und Herbstanfang ist am 19. August“
Die Regel hat ihren Ursprung in Christa’s Geburtstag am 19. August – Christa ist ein langjährige Freundin. Zu Christa’s Geburtstagfeiern ist zwar zumeist schönes Wetter, allerdings ziehen mit der zu dieser Jahreszeit um 20 Uhr einsetzenden Dämmerung über die bereits klammen Wies’n tiefe Nebelschwaden hinweg. Dieses Schauspiel bestätigt sich Jahr für Jahr mit Beginn am 19. August auf’s Neue.
Und dazu disjunkt ist der 18. August ein vollwertiger Sommertag ohne eine einzige Nebelschwade und mit sommerlichen Temperaturen. Und so ein Tag war der 18. August 2019. Claudia und ich hatten uns für eine Bergtour den Schellschlicht vorgenommen. Die Idee entsprang im Mai diesen Jahres am Eibsee, von wo aus der offene Blick auf die Ammergauer Alpen seine östlichen Ausläufer mit Frieder und Schellschlich erkennen lässt. Zudem ist der Schellschlicht durch seinen, einem Vulkan ähnelnden Aufbau als Rundtour gut geeignet. Allerdings führt die Tour gerade im Sommer erhebliche Nachteile mit sich. Der Aufstieg ist nach Osten ausgerichtet und damit der Morgensonne ausgesetzt. Ein bereits besonders schweißtreibender Aufstieg ist die Folge. Zudem führt die Route ab halber Höhe entweder über seinen Südwest- oder über seinen Südostgrat ohne Aussicht auf eine wasserspendende Quelle.
Beim morgentlichen Zusammenstellen der Getränke hatte ich diese Gegebenheiten nicht im Blickfeld. Um Gewicht zu sparen hatte ich lediglich einen Liter wasserverdünnten Traubensaft und ein alkoholfreies Weißbier vorgeseh’n. Damit war das Desaster vorprogrammiert.
Bereits beim Erreichen der Schellalm auf 1.479 m Höhe war absehbar, dass heut‘ der Erfolg unserer Bergtour ganz vom verfügbaren Flüssigkeitsvorrat abhängen wird.
Es war ein Sommertag fast wie im Hochsommer, der erste halbe Liter war bereits „verdunstet“ und der sonnige Teil des Aufstiegs mit gut 500 Hm stand uns noch bevor. Verdammt, was bin ich ein Idiot und hab‘ mir in der früh nicht nochmal vor Augen geführt, dass hier nun Wasserquellen Fehlanzeige sind. Lediglich der wunderbare Ausblick auf die Zugspitze und die Skyline des Jubiläumsgrats lenkt vom bevorstehenden Durst ab.
Trotz der Hitze waren wir zügig unterwegs, vermutlich wollte wir möglichst die Zeit ohne Wassernachschub abkürzen. Auf dem Gipfel konnte das alkoholfreie Weißbier meinen Durst kaum lindern. Und beim Aufstieg hatte ich mich bereits an dem verbliebenen halben Liter des wasserverdünnten Traubensafts bedient gehabt. Ohne lang‘ zu überlegen kamen wir überein auf unserer Aufstiegsroute auch wieder abzusteigen. Wir wollten keinesfalls von einem uns unbekannten Gegenanstieg überrascht werden. Auf der nun geplanten Route war eh auch ein kurzer Gegenanstieg zu überwinden.
Von da an begann die Qual des Abstiegs, einfach nur mehr grausam. Ach wie hatte ich mir eine Skiabfahrt oder ein Radl gewünscht – klar nicht auf der Tour, aber ich wußte irgendwie muss ich den bevorstehenden Abstiegs übersteh’n.
Von nun an hatte ich keine gesteigerte Lust zum Fotografieren. Zwei Aufnahmen noch und dann irgendwie zur Schellalm.
Bei der Schellalm gab’s den letzten Rest Flüssigkeit und dann faul ins Gras legen. Jetzt galt’s noch 650 Hm zu überwinden. Diese Höhenmeter bin ich wie in Trance runter gestolpert. Dann endlich erreichten wir die Neidernach. Ich wollt‘ nur mehr zum Wasser. Am Nudelgraben war’s soweit, ab zum Wasser, das klare Nass über den Nacken schütten und Trinken, Trinken, Trinken! Oh wie schön kann Wasser sein. Ich konnte gar nicht soviel Wasser auf einmal zu mir nehmen wie ich durch den Wasserverlust hätte trinken müssen. Kaum eine 1/4 Stunden weiter bis zum Auto und mein Durst hatte mich bereits wieder im Griff. Zum Glück hatte ich eine Wasserflasche im Auto deponiert gehabt. Übrigens hatte die Tour Claudia bei Weitem nicht so zugesetzt wie mir. Ich brauch‘ nur an Sonne zu denken, dann komm‘ ich schon ins Schwitz’n – zumindest vor dem 19. August!
Dr. Harald Klein