Nach meiner anstrengenden Rundfahrt am Tag zuvor hatte ich für diesen Tag lediglich eine Genussfahrt auf den Furkapass mit einem Abstecher zur Aussichtsplattform Belvedere 2.269 m.ü.N. und ein weiteres mal den Oberalp allerdings nicht bis zur Passhöhe geplant. Leider sollte meine Genussfahrt von einem schweren Motorradunfall am Furka getrübt werden. Für den Nachmittag plante ich eine kurze Spritztour Richtung Oberalp Pass zu radeln. Kurz unterhalb von Nätschen gibt es einen genialen Spot mit grandiosem Blick auf die über Wiesenmatten führende Matterhorn Gotthard Bahn.
Mein täglicher Spaziergang am frühen Morgen hat mich zu dem äußerst gepflegten Andermatter Bahnhof geführt, an dem bereits reger Zugverkehr herrschte. Am Bahnhof hatte ich mir für meine geplante Ausfahrt zu oben genannten Spot den Zugfahrplan abfotografiert.
Um ca. 10:15 Uhr machte ich mich auf den Weg in Richtung Furkapass. Das Wetter zeigt sich auch an diesem Tag von seiner besten Seite. Auf der langen Geraden von Zumdorf nach Realp schoss ein Sanitätswagen mit Blaulicht und Martinshorn an mir vorbei. Kurz drauf kam ein Notarztwagen nochmals deutlich schneller. Am Ende der langen Geraden setzte der Notarztwagen zum Überholen des Sanitätswagens an und gleichzeitig wollte Letzterer einen vor ihm fahrenden PKW überholen. Mit einer Notbremsung bei blockierten Reifen, dessen schriller Ton bis zu mir laut zu hören war, konnte Schlimmeres verhindert werden. Nicht ungefährlich dieses Manöver zur Rettung Dritter. Nachdem ich von dem Schreck Abstand nehmen konnte, lies ich die Eindrücke der wunderbaren Landschaft wieder auf mich wirken.
Wie so oft nach einer anstrengenden Rundfahrt fühlte ich mich am nachfolgenden Tag gut, so dass ich den unteren Teil der Furka Passstraße zügig bis zum Aussichtspunkt Galenstock zurücklegte. Nach passieren des Aussichtspunkts Galenstock, eröffnet sich der Blick zur Passhöhe. Die Passstraße führt nun an den Nord- und Nordosthängen des Winterstock- und Galenstock-Massivs entlang. Diese Hänge ziehen fast durchgängig steil in den Talboden hinunter, in dem die Bergstrecke der Furka Dampfbahn verläuft. Mit dem freien Blick zur Furka Passhöhe zeichnete sich ab, dass der Notarzt- und Krankenwagen zu einem schrecklichen Unfall unterwegs waren. Zudem war zwischenzeitlich ein Hubschrauber mit im Einsatz und das Blaulicht des Notarzt-, Kranken- und weiterer Polizeieinsatzwägen ca. 2 km vor der Passhöhe war bereits von Weitem nicht zu übersehen. Der Hubschrauber manövrierte ständig über dem steil abschüssigen Gelände unterhalb der Passstraße. Je näher ich der Unglücksstelle kam, war zu erkennen, dass dort wo die Passstraße im kleinen Bogen über den Abgrund führt, ca. 100 Hm darunter „Irgendetwas“ zu erkennen war. Hinzukam dass in diesem Bereich dunkle Lichtverhältnisse herrschten. Als ich an der Unglücksstelle ankam, wurde das Ausmaß dieses fatalen Unfalls deutlich. An einem linksseitig befestigten Kolonnenstein lag das abgerissene Vorderrad eines Motorrads. Mensch und Korpus des Motorrads waren offensichtlich tief den Abgrund hinunter gestürzt. Von dem Unglück betroffen fuhr ich die letzten zwei Kilometer bis zur Passhöhe. Über den sonnigen Tag und meine körperliche Fitness kam in dieser Phase keine Freude auf. Am Abend stellte sich heraus, dass ein Motorradlenker und sein Sozia mitsamt ihres Motorrads ca. 80 Meter den steilen felsigen Abhang hinab gestürzt waren. Beide Personen wurden lebensbedrohlich verletzt, was sich für mich wie ein Wunder anmutete. Ich konnte mir beim Anblick der Unglücksstelle beileibe nicht vorstellen, dass einen solchen Sturz ein Mensch überleben kann. Der Schweizer Polizeibericht vermeldet: „Schlimmer Unfall auf der Furkastrasse: 2 Personen lebensbedrohlich verletzt„.
Mit gemischten Gefühlen machte ich mich auf die kurze Abfahrt bis zur Aussichtskanzel Belvedere. Zwischendurch legte ich einen Stopp bei einen der Parkmöglichkeiten entlang der Passstraße ein, um die wunderbare Aussicht ins Rhonetal zu genießen. Dort kam ich mit einem sympathischen Belgier ins Gespräch, der mit seiner herrlich herausgeputzten Harley Davidson unterwegs war.
Er berichtete mir, dass er seit vielen Jahren im Sommer mit seiner Harley in der Schweiz unterwegs ist und zuvor im Frühling bei der Tour de Suisse arbeitet. In jedem Jahr erlebt er unterschiedlichsten Wetter-Verhältnisse. Im Jahr 2019 war bis Ende des Frühjahrs auf dieser Höhe noch Schnee gelegen, während heuer bis auf die höchsten Berggipfel hinauf kein Schnee festzustellen ist. Ich konnte bestätigen, dass Winter und Frühjahr 2019 herrlich schneereich waren und damals beste Verhältnisse zum Skibergsteigen herrschten.
Das Hotel „Gletscher Restaurant Belvedere“ bietet einen Zugang zu dem Trauerspiel des Rhone Gletschers. Dieser einst so mächtige Gletscher ist nur mehr ein Schatten seiner selbst. Als ich 1997 das erste mal mit dem Rennrad hier war, reichte der Gletscher noch bis zu dem Aussichtspunkt. Unglaublich mit welcher Geschwindigkeit die Gletscheroberfläche in den vergangenen 25 Jahren zurück gegangen war.
Die 160 Höhenmeter zurück zur Furka Passhöhe waren schnell überwunden und ich machte mich weiterhin mit gemischten Gefühlen auf die Abfahrt nach Andermatt. Soweit ich mich erinnere, bin ich die Ostseite des Furka Passes noch nie mit dem Rennrad hinunter gefahren.
Gemäß meiner obigen Beschreibung fährt man den Furka bis zum Galenstock auf der dem Abhang zugewandten Seite ab. Dieser Umstand und die Gedanken an den schlimmen Motorradunfall vom Vormittag ließen mich die Abfahrt sehr vorsichtig fahren. An der Unglücksstelle war zwischenzeitlich ein Abschleppdienst zum Abtransport der – nach seiner Bergung – verbliebenen Überreste des Motorrads Vorort. Ab dem Galenstock konnte ich allmählich die landschaftlich reizvolle Abfahrt wieder ein wenig genießen.
Bei der Suche nach einem geeigneten Halteplatz zum Fotografieren, hatte ich zufällig das James Bond Taferl entdeckt. Ich hatte mich bereits des öfteren gefragt, wo dieser Spot zu finden ist. An selbigem Platz hatte ein Paar mit Motorrad ebenfalls eine Pause eingelegt. Die beiden kamen aus der Provence und waren ebenfalls auf Urlaubsfahrt unterwegs.
Zurück in Andermatt legte ich lediglich eine kurze Pause ein, um mich am Nachmittag in Ruhe für meine Aufnahmen der Matterhorn Gotthard Bahn am Oberalp vorbereiten zu können. Dazu wollte ich bis spätestens 15 Uhr den oben genannten Spot erreicht haben.
Nach einer kleinen Stärkung mit einer Banane machte ich mich auf den Weg in Richtung des genannten Spots auf ca. 1.800 m.ü.N. Wie bereits in einem früheren Beitrag beschrieben gehört die westliche Passseite des Oberalps zu den angenehmen Auffahrten, so dass ich die 360 Höhenmeter zügig überwunden hatte. Am genannten Spot kam ich bereits um 14:40 Uhr an und konnte mir in Ruhe den optimalen Standplatz zum Fotografieren suchen, als ein Zug vom Oberalp kommend den Bahnhof Nätschen erreichte. Wie passend dachte ich mir. So konnte ich meinen ausgesuchten Platz mit Aufnahme des von oben kommenden Zugs bestens testen.
Ca. 40 Minuten später kam selbiger Zug den Oberalp aufwärts fahrend zurück. Was für ein gelungenes Timing, wie ich meine.
Erfreut über meine gelungenen Aufnahmen, machte ich mich auf meine letzte Abfahrt Richtung Andermatt. Bald erreichte ich Andermatt und hatte noch ausreichend Zeit für eine ausgiebige Dusche und einen Abendspaziergang bevor ich mich wieder in die „Bäckerrei“ zum Abendessen aufmachte.
Einerseits dürfte ich mich über einen gelungen Tag erfreuen, anderseits blieb auch am Abend meine Stimmung von dem schrecklichen Motorradunfall am Furka getrübt.
Dr. Harald Klein