Lisenser Fernerkogel – 21. März 2019

„Morgen oder diesen Frühling nimma!“, so flüsterte mir am 20. März meine innere Stimme zu. Der Wetterbericht war verheißungsvoll, lediglich wird es auf 3.000 Meter noch recht frisch bleiben. Ich hatte kurz überlegt, welcher Tourenpartner in Betracht kommen könnte. Meinen früheren Arbeitskollegen, Horst, hatte ich per Threema angeschrieben, allerdings wie vermutet eine Absage erhalten. Na gut, geh ich halt solo, bin ich eh gewohnt!

Lisenser Fernerkogel
Lisenser Fernerkogel ein Riegel von Berg mit seinem mächtigen Aufstieghang

Brotzeit besorgt, die Felle auf die Wayback aufziehen und gleich ins Auto rein. Ich hatte diese Saison noch keine Tour unternommen, so waren ein paar grundlegende Aufgaben angesagt – neue Batterien für’s LVS Gerät, kurz testen und die vielen kleinen Utensilien vom Sommerrucksack in den Skitourenrucksack verfrachten. Jetzt das Equipment vorbereiten. Ist immer mehr zu tun als anfänglich vermutet. Diese Aufgaben sind es, die mich jedesmal auf’s neue Überwindung kosten ein Skitour zu planen. Ein Tourenziel musste ich mir auch noch überlegen – ein Frühlingsklassiker soll es werd’n. Der Lisenser Ferner Kogel wär‘ eine schöne Herausforderung – Aufstieg 1.650 Hm und bis auf 3.299 m rauf. Noch was zum Abendessen und möglichst früh ins Bett. Für 4 Uhr wird der Wecker gestellt, so dass ich um 5 Uhr hier loskomm‘ und ca. um 7 Uhr in Lüsens auf 1.636 m starten kann.

Da stand er, der grandiose Riegel, jedesmal wieder eine Augenweide! Nun galt es mit der Kondition zu haushalten, insbesondere da ich in der Saison noch keine Skitour unternommen hatte.

Lisenser Fernerkogel
Die Route über den Aufstieghang verläuft anfangs auf der rechten Böschungsseite entlang der breiten Rinne

Es war noch zapfig kalt. Ein paar Tourengeher waren bereits gestartet. Der strahlend blaue Himmel und die weiße Pracht waren Motivation genug den Ziehweg bis zum mächtigen Aufstieghang zügig zu überwinden. Die Route verläuft anfangs auf der rechten Böschungsseite entlang einer breiten Rinne. Der Aufstieg wird kurzzeitig etwas steiler. Der Schnee war auch unter der frischen Pulverauflage nicht vereist, so dass keine Harscheisen nötig waren.

Lisenser Fernerkogel Aufstieg
Aufstieg zum Lisenser Fernerkogel

Nach dem kurzen Aufschwung quert man kurz nach links, um nun über eine Rinne die untere Passage des Aufstieghangs hinter sich zu lassen. Nun wird der Hang übersichtlich und es heißt kontinuierlich aufzusteigen.

Abfahrt vom Rotgratferner
Blick in den unteren Teil der Abfahrt vom Lisenser Fernerkogel über den Rotgratferner

Im oberen Teil des Aufstieghangs erhält man Einblick in den unteren Teil der Abfahrt vom Lisenser Fernerkogel, die über den Rotgratferner verläuft. Nicht mehr weit und man hat den noch gut erhaltenen Lüsenser Ferner erreicht. Die von der Frühlingssonne anmutig erstrahlten Gletscherflächen sind der besondere Reiz des Skitourengeh’ns im Frühling.

Lüsenser Ferner
Anmutig erstrahlte Gletscherfläche des Lüsenser Ferners

Auf dem Lüsenser Ferner folgt man dem Gletscherausläufer in westlicher Richtung entlang der Plattigen Wand. Sobald der Hang unterhalb der Plattigen Wand frei wird und weit hinauf reicht, gewinnt man über diesen mit Spitzkehren schnell an Höhe. Nun erreicht man ein Band durch die Plattige Wand. Zu meinem Leidwesen hat sich beim Aufstieg meinen linker Handschuh aus meiner Hosentasche befreit gehabt. So dass ich ca. 50 Hm wieder abfahren musste. Das Manöver war nicht wenig aufwendig, da ich die Felle nicht abziehen wollte und lediglich die Bindung fixiert hatte. Nochmal die 50 Hm hinauf und dann folgte die Querung über das Band.

Lisenser Spitz
Blick auf die Lisenser Spitz vom Band durch die Plattige Wand
Lüsenser Ferner
Zwei Tourengeher auf dem Lüsenser Ferner im Anstieg zum Lisenser Spitz

Als ich die Scharte zum Rotgratferner auf 3.045 m erreicht hab, war ich bereits sichtlich erschöpft. Die 150 Hm bis zur Scharte zwischen Lisenser Fernerkogel und Rotgratspitz waren ab da mehr Qual als Spaß. Auf der Scharte angekommen war mir klar, dass ich die letzten 100 Hm zum Gipfel ausfallen lassen werd‘. Auf 3.198 m war die Luft recht frisch und meine Brotzeit diente mehr dem Zweck der Erholung als dem Genuss. Kurz d’rauf kamen die beiden Tiroler Tourengeher, die mich bereits im oberen Bereich des Aufstieghangs überholt hatten. Sie waren in ihrem Tempo versehentlich zum Lisenser Spitz gestiegen, wollte jedoch den Lisenser Fernerkogel – ihr eigenliches Ziel – nicht ausfallen lassen. Die beiden – eine Österreicherin und ein Österreicher – waren wirklich fit und haben sich sodann gleich auf den Weg zum Gipfel gemacht.

Nordhang Rotgratspitz
Nordhänge unterhalb des Massivs der Rotgratspitz

Zügig machte ich mich für die Abfahrt fertig – es war bereits 14:30 Uhr. Ganz allein ging es den Rotgratferner runter. Ich hielt mich möglichst rechts unterhalb dem Massiv der Rotgratspitz. In den Nordhängen gab’s die schönsten Pulverhänge.

Nordhang Rotgratspitz
Schönster Pulver in den Nordhängen unterhalb des Massivs der Rotgratspitz

Ab da ging’s auf dem Rotgratferner über die erste Steilstufe hinab Richtung Aufstieghang. In der zweiten deutlich längeren Steilstufe empfand ich den Schnee nicht mehr ganz so angenehm. Vermutlich lag’s wohl eher an meiner Erschöpfung vom Aufstieg, dass mir der Genuss der Abfahrt verwehrt blieb.

Rotgratferner
Abfahrt über den Rotgratferner

Ich war sichtlich erleichtert, als ich den Aufstieghang wieder erreicht hatte. Dort angekommen hab‘ ich mir auf einem kleinen Buckel eine zweite kurze Pause gegönnt. Es war bereits nach 15 Uhr. Auf der Abfahrt über den Aufstieghang hatte ich mich dann immer entlang des Aufstiegs gehalten. Ich wollte so spät allein‘ keine Experimente mehr eingehen.

Aufstieghang Lisenser Fernerkogel
Blick zurück auf den Aufstieghang zum Lisenser Fernerkogel

Noch vor der unteren Steilstufe war die Sonne nicht mehr geseh’n. Die Steilstufe hinab und nun ging’s flach zum Fernerboden runter. Kurz drauf erreichte ich die Loipe und konnte fast ohne anzuschieben bis zum Parkplatz abfahren. Ein wenig Sonnenschein war mir dort vergönnt geblieben. Bis ich meine Ski und das ganze Graffel verstaut hatte war’s um die Sonne endgültig gescheh’n.

Lisenser Fernerkogel
Blick zurück zum Lisenser Fernerkogel

Dr. Harald Klein