Es war an der Zeit, der im Job aufbauenden Belastung kurzzeitig zu entfliehen. Sonntags am frühen Morgen macht das Autofahren auf Landstraßen tatsächlich noch Spass. Keine Langweiler, keine Drängler, nur einfach Freude an der Dynamik des Drehmoments und der verfügbaren Leistung zu haben. Carla Bruni war zu dieser Zeit mein musikalischer Favorit und das Album „Quelqu’un m’a dit“ lief über die gesamte Fahrt. Am letzten Parkplatz vor der Mautstelle startete ich um 8:30 Uhr mit meinem genial schönen Klein Attitude. Nach gut 20 Jahren hat es bereits einen Oldtimer Status inne. Das Bergwetter war verheißungsvoll und so hatte ich mir einen meiner Lieblingsgipfel zum Ziel gesetzt, die Bettlerkarspitz im Karwendel. Das Johannestal eröffnete eine grandiosen Blick zu einem weiteren meiner Gipfelfavoriten, die Moserkarspitz.
Das morgentliche kontrastreiche Licht zeichnet im Osten die Silhoutte vom Grat der Bettlerkarspitz zur Schaufelspitz in den Himmel. Von hier wirkt die Schaufelspitz deutlich höher, obwohl sie lediglich 38 Höhenmeter mehr misst. Zum einen hat die Bettlerkarspitz einen Vorgipfel der vom Risstal höher als der Hauptgipfel selbst wirkt und zum anderen liegt die Schaufelspitz etwas vorgelagert.
Mit dem Radl nimmt man den Forstweg zur Plumsjochhütte. Der Wanderpfad startet bereits bei der Hagelhütte, der Forstweg zweigt ca. 1,5 km später nach Osten ab. Dieser läßt sich mit dem Radl gut fahren. Die 550 Hm lassen einen trotzdem gut ins Schwitzen kommen und mit dem Rucksack am Buckel freu ich mich bereits auf den Weiterweg zu Fuß. Kurz vor der Plumsjochhütte zweigt der Wanderpfad zur Bettlerkarspitz ab. Zuerst führt der Pfad flach durch Latschn hindurch, doch bald schon steigt er zügig steil durch eine Rinne bis zum Schotterfeld hoch.
Bei grandiosem Tiefblick läßt sich das steile Schotterfeld spielerisch überwinden und schon bald hat man den Gipfelgrat erreicht. Hier eröffnet sich nun der Blick zum Vorgipfel und zur Bettlerkarspitz selbst, beide mit einem Gipfelkreuz geschmückt.
Über den breiten Grat führt der Pfad ohne Schwierigkeiten zum Vorgipfel. Die letzten Höhenmeter zum Vorgipfel kann man sich ersparen und diesen westlich umgehen. Von da an führt der Steig westseitig leicht unterhalb des Grats entlang. Im Gelände geben Bänder die Steigführung vor. Trotz alledem sollte man auf die fast verblichenen, meist gelben Markierungen achten, um im abschüssige karstigen Gelände nicht auf Abwege zu geraten. Der abschließende Aufschwung über den Gipfelgrat beginnt mit einer kurzen und leichten allerdings recht ausgesetzten Blockkletterei. Ein fest angebrachtes Seil erleichtert diese Passage und nun führt der Steig in flachem Bogen zum Gipfel.
Die Bettlerkarspitz hab ich vermutlich ein halbes Dutzend mal bestiegen. Meist war keine Menschenseele am Gipfel. Doch heut „verliefen“ sich ein paar Jugendliche zum Gipfel, sie machten sich allerdings bereits für den Abstieg fertig. So hatte ich den Gipfel für mich allein, bis zwei Bergsteigerinnen das Gipfelglück heimsuchten.
Beim Abstieg über das Schotterfeld traf ich auf zwei Franzosen. Den Älteren der beiden hatte offensichtlich beim Tiefblick über das Schotterfeld der Mut verlassen. Er mühte sich Schritt für Schritt abwärts. Mein Hilfeangebot, ihn nach unten zu begleiten, hatte er abgelehnt. Vermutlich aus Verlegenheit sein Missgeschick eingestehen zu müssen. Nach 50 Hm blickte ich zurück und konnte nicht fassen, dass er kaum einen Schritt weiter gekommen war. Ich stieg zurück und leitete ihn nun Schritt für Schritt das Schotterfeld hinab. Die beiden Franzosen waren aus Nizza zum Kurzurlaub ins Karwendel gekommen und dem Älteren von beiden war beim Aufstieg die Steilheit des Hangs nicht bewußt. Beim Abstieg mit offenen Blick nach unten war’s dann zu spät. Nachdem das Schotterfeld überwunde war, fühlte sich der Franzose sicher genug eigenständig weiter abzusteigen.
Nun war’s nicht weit bis zu meinem Radl, dass ich aus meinem Latschenversteck holte. Auf der Plumsjochhütte gönnte ich mir einen Apfelstrudl und einen Verlängerten. Dann ging’s mit dem Radl entspannt abwärts. Kurz nach der Plums-Alm hatte ich leider einen größeren Stein übersehen und mir durch die Wucht des Drüberfahrens einen Plattn eingefangen – Ursache: Durchschlag, sprich selbst Schuld! Zum Glück hatte ich zumindest einen Reserveschlauch dabei.
Dr. Harald Klein